Im Grunde sollte diese Seite absatzweise von hinten gelesen werden. Aber der hier herunterzuladende Text, von jemand, der nicht nur die deutsche Sprache ausgezeichnet versteht, sondern auch die absurden Regeln von deutschem Rechtschreibrat und Duden-Redaktion erklären kann, ohne sie zu teilen oder zu billigen, ist so interessant, dass andere Argumentationen gegen diese Regeln schlicht und ergreifend wie blass wirken. Darum stehen diese Ausführungen am Anfang.

Die hier herunterzuladende Mail habe ich Anfang Januar 2023 an dreißig Mitarbeiter(innen) germanistischer Einrichtungen im deutschsprachigen Raum geschickt. Außer einer Handvoll Abwesenheitsmitteilungen habe ich keine Antwort erhalten. Ich schließe daraus, dass die versammelte Germanistik den absurden Unfug von Duden und Rechtschreibrat billigt und mitmacht: nicht nur zu einem gehörende Wörter auseinanderzureißen, sondern damit vor allem den sinnvollen Zusammenhang zwischen Schreiben und Lesen. Ich habe keine Ahnung, wie Kinder unter der Bedingung, vernünftig lernen sollen, deutsche Texte zu lesen. Denn sie kennen – wie fast das gesamte schreibende Volk in diesem Land – die „Regel“ nicht, nach der Wörter, die zusammengehören, auseinandergerissen werden sollen und müssen. Wenn sie sie kennen würden, könnten sie sie nicht verstehen. Da ich in diesem Jahr 75 Jahre alt bin, werde ich aufhören, mehr oder weniger öffentlich für die Wahrung des Zusammenhangs zwischen Schreiben und Lesen zu streiten. Das fällt mir nicht leicht, weil der Zusammenhang nach den Regeln „Jedes Wort hat eine Betonung / Es gibt kein Wort ohne Betonung“ und „Kein Wort hat zwei Betonungen, es sei denn es handelt sich um zwei mit einem Bindestrich verbundene Wörter“, sinnvoll und einfach zu halten ist. Wie absurd das ist, was der Duden und der Rechtschreibrat praktizieren, ergibt sich auch daraus, dass es im Duden mehr als häufig eine Erst- und eine Zweitempfehlung gibt, von denen die eine für das Zusammenschreiben und die andere für das Getrenntschreiben gilt. Regeln dafür werden nicht genannt und es kann sich nicht nur um „die eine“ handeln, da beide Schreibungen als korrekt bezeichnet werden. Bei meinen eigenen Texten werde ich nach wie vor die von mir genannten Regeln der Wortbetonung anwenden. Und wenn ich für andere Personen korrigierend Texte lese, werde ich sie zu überzeugen versuchen, dass die Anwendung dieser Regeln besser ist als so mancher Unfug, der durch „die eine Regel“ von Duden und Rechtschreibrat angerichtet wird.

In den vergangenen Jahrzehnten habe ich vor allem Texte von Personen redigiert und korrigiert, die sich des korrekten Gebrauchs der deutschen Sprache nicht sicher waren. So genau hingesehen habe ich verständlicherweise schließlich auch beim privaten Lesen – ob Literatur oder Zeitungen/Zeitschriften. Was mir zum Umgang der in diesem Land Schreibenden mit der deutschen Sprache alles aufgefallen ist, habe ich auf meiner Webseite unter dem Titel „Schreiben Sie, was Sie meinen, sonst meine ich, was Sie schreiben“ veröffentlicht: http://www.richard-kelber.de/images/WasFuerEinDeutsch.pdf. Es ist schon faszinierend, was in diesem Land sprachlich produziert wird. Seit einiger Zeit gibt es „selbstfahrende Autos“. Vom Latein- und Griechischunterricht am Staatlichen Altsprachlichen ehemals Königlich Preußischen Gymnasium Dortmund an der Lindemannstraße ist nicht allzuviel in meinem Gedächtnis geblieben. Aber dass „automobil“ nichts anderes heißt als „selbst beweglich“ oder  „selbst bewegend“, weiß ich immer noch. „Auto“ ist zwar eine Abkürzung für „Automobil“, so dass ein „selbstfahrendes Auto“ nichts anderes wäre als ein „selbstfahrendes Selbst“. Aber, da Abkürzung, bedeutet es etwas so schön Unsinniges wie „selbstfahrendes Selbstbewegliches“.

Mit der Zeit stellte sich für mich heraus, dass das größte Problem im Auseinanderreißen zusammengehörender Wörter besteht. Für mich ist völlig unklar, nach welcher Regel der Duden in dieser Hinsicht verfährt. Unter den in diesem Land Schreibenden hat die dadurch vermittelte Unsicherheit offensichtlich zu der Auffassung geführt, es gebe so gut wie keine zusammengeschriebenen Wörter mehr. Was eine Mär ist, aber wenn Sie deutsche Texte lesen, wird Ihnen dies sicher auffallen. Das Auseinanderreißen zusammengehörender Wörter führt zur Zerstörung des Zusammenhangs zwischen Schreiben und Sprechen. Denn nach meiner festen Überzeugung gibt es keine unbetonten Wörter. Allerdings kennt der Duden sowohl das Wort „ernstnehmen“ nicht (mehr) als auch „ernst nehmen“. Er kennt beide Wörter nur für sich. Er nimmt nach meinem Überblick auch keine Rücksicht darauf, dass Wörter zusammen- oder getrenntgeschrieben eine sehr unterschiedliche Bedeutung haben. Ich darf vielleicht der Deutlichkeit halber dazu auf „zusammenkommen“ und „zusammen kommen“ verweisen, auch wenn das vielleicht ein bisschen frivol ist.
Um zu begreifen, warum im Duden hinsichtlich des Auseinanderreißens zusammengehörender Wörter so merkwürdig verfahren wird, habe ich mich hilfesuchend zunächst an die Duden-Redaktion gewandt, die allerdings auf meine entsprechenden Anfragen nicht einmal formal reagiert hat. Schließlich habe ich den Deutschen Rechtschreibrat angeschrieben, für den Frau Dr. Krome mir nach einer, sorry, Mahnung geantwortet hat. Sie hat mir die Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung geschickt, die unter diesem Link abgerufen werden können. Ich war und bin einigermaßen bestürzt, dass darin die Behauptung enthalten ist, es gebe unbetonte Wörter. Ich habe dazu mit Frau Dr. Krome eine kurze Korrespondenz geführt, die unter diesem Link abgerufen werden kann.
Was ich besonders bedenklich finde, ist die Tatsache, dass Frau Dr. Krome sich geweigert hat, allgemeinverständlich zu erklären, wann Wörter getrenntgeschrieben werden und warum ein Wortteil als unbetont gelten soll und kann. Ich muss leider davon ausgehen, dass sie dazu nicht in der Lage war. Jedenfalls kann mit dem, was über unbetonte Wörter im Link „Rechtschreibrat“ steht, wohl kaum jemand, so nicht germanistisch studiert, etwas anfangen. Wenn überhaupt jemand – außer Frau Dr. Krome. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass durch die Zerstörung des Zusammenhangs zwischen Schreiben und Sprechen nicht nur die deutsche Sprache leidet, sondern vor allem diejenigen, sorry, konfus werden müssen, die nicht Germanistik studiert haben und das von Frau Dr. Krome mitgeteilte Regularium ganz sicher nicht verstehen können. Wer in diesem Land liest, ob Literatur oder Alltagstexte, wird unschwer feststellen, dass die vom Rechtschreibrat aufgestellte Regel offensichtlich von so gut wie niemandem verstanden wird. Denn selbst die Wörter, die vom Duden als zusammenzuschreiben angegeben werden, werden fast durchweg auseinandergerissen. Wie sollen, sorry, einfache Menschen in der Lage sein, so zu schreiben, wie sich der Rechtschreibrat das vorstellt, wenn die vielen in diesem Land professionell Schreibenden nicht in der Lage sind, dessen Regel zu (be)folgen? Ganz am Rande: Mit der Regel des Rechtschreibrats ist auch die Quasi-Zusammensetzung wie „hin- und herlaufen“ abgeschafft, so dass es landauf landab nur noch „hin und her laufen“ heißt.
Ich kann nicht begreifen, dass die versammelte deutsche Germanistik diesen Unsinn „unbetonter Wörter“ offensichtlich unkommentiert mitmacht. Und vor allem ist mir völlig unklar, warum diese ebenso sinnvolle wie einfache Regel nicht mehr gelten soll: Ein Wort hat eine Betonung, und zwar nur eine. Nur so lässt sich auch für diejenigen, die nicht professionell mit Sprache befasst sind, bestimmen, ob zwei Wörter zusammen- oder getrenntgeschrieben werden. Also etwa „zusammenkommen“ oder „zusammen kommen“.