Der Dezember ist vielleicht nicht gerade die richtige Zeit für einen sechstägigen Besuch in Wien plus zwei Tage für An- und Abreise mit der Bahn. Aber einerseits war ich froh, mich endlich zu dieser Reise entschlossen zu haben. Andererseits hätte ich mich auch bei angenehmeren Temperaturen sicher nicht länger als vier, fünf Stunden in der Stadt aufgehalten. Allerdings war ich auch nie wirklich einsam. Die Stadt war tagsüber schon ziemlich belebt. Aber abends war richtig was los, vor allem auf den Christkindlmärkten.

Jeder Gang durch die Stadt ist eine neue Aufforderung, sich daran zu erinnern, dass das 19. Jahrhundert vorbei ist. Denn die vielen, vor allem öffentlichen Gebäude stammen aus dieser Zeit und bestimmen das Stadtbild. Es heißt, im Zweiten Weltkrieg sei ein Drittel der Wohnhäuser Wiens zerstört worden. Aber angesichts des Erhaltungszustands gerade der öffentlichen Gebäude ist das unglaublich. Etliche dieser Gebäude waren innen und außen zu groß für meine kleine Kamera, insbesondere die Wiener Hofburg (außen) und die Österreichische Nationalbibliothek mit ihrem Prunksaal (innen).

Bei der Wiener Hofburg war mir nicht klar, wo vorne und wo hinten ist. Das Rathaus wirkt fast wie eine Kirche. Der besondere Stolz der ersten sozialdemokratischen Regierung von Wien war der Bau von Gemeindewohnungen gegen die Wohnungsnot. An jedem dieser Wohngebäude steht, dass und wann die Gemeinde Wien es errichtet hat. Ein besonderer Fall ist der Karl-Marx-Hof. Er wurde 1927 bis 1930 auf einer Fläche von 156.000 m² mit großzügigen Innenhöfen sowie weitläufigen Gartenflächen, Plätzen und Wegen mit 1.382 Wohnungen für etwa 5.000 Bewohner errichtet. Finanziert wurde er mit einer Luxussteuer etwa für Angestellte in Privathaushalten, auf Bälle, Autos, Großwohnungen, Besuche von Pferderennen, Nachtlokalen, Bordellen und Boxkämpfen. Da die bestimmenden Gebäude der Stadt fast alle relativ alt sind, kann von einer Skyline Wiens nicht die Rede sein.

Es gibt in Wien nicht „die Donau“, sondern die alte Donau, den Donau-Kanal und die „richtige“ Donau mit der großen Donau-Insel. Und es gibt noch den Fluss oder besser das Flüsschen Wien.

Ein Begriff für und mit Wien ist Friedensreich Hundertwasser Regentag Dunkelbunt, der bürgerlich Friedrich Stowasser hieß. Das Hundertwasserhaus hat er gestaltet. Das Kunst Haus Wien ist als Museum seinem Wirken gewidmet. Unübersehbar war in der Nähe von Heiligenstadt, wo meine Unterkunft war, die Müllverbrennungs- und Fernwärmeanlage Spittelau, die Hundertwasser ebenso gestaltet hat wie eine Bürofassade, die mir zufällig aufgefallen ist und nach deren Urheber ich gefragt habe.

Es gibt in Wien recht viele ideenreich gestaltete Denkmale für Verfolgte des Nazi-Regimes und Mahnmale gegen Faschismus und Krieg, quasi allen voran das mehrteilige Werk von Alfred Hrdlicka in der City. Jedes Denk-/Mahnmal ist einer bestimmten Gruppe von Verfolgten gewidmet. Gedacht wurde aber auch, und zwar überraschenderweise schon im August 1945, mit einem geradezu voluminösen Denkmal der gefallenen sowjetischen Soldaten. Erinnert wird schließlich auch mehrfach an die Republikgründung und die -gründer.

An Kultur und kulturellen Einrichtungen ist in Wien kein Mangel. Das MuseumsQuartier bietet alleine sechzig von diesen eine Heimstatt. Ich habe Freud-, Literatur- und Weltmuseum sowie die Österreichische Nationalbibliothek besucht. Deren Prunksaal ist 77,7 m lang, 14,2 m breit und 19,6 m hoch und bietet 200.000 zwischen 1501 und 1850 erschienenen Büchern Platz. Die Volkskultur à la Prater habe ich mir geschenkt, weil ich aus Hamburg weiß, was auf einer großen Kirmes angeboten wird. Die Spanische Hofreitschule hat mich nicht wirklich interessiert und es gab großen Andrang. Die Zwillingsgebäude Kultur- und Naturhistorisches Museum, die um einen großen Platz einander gegenüberliegen, bieten Millionen Ausstellungsstücke.

Da hat mir gereicht, dass ich im Literaturmuseum auch eine Woche statt ein paar Stunden hätte bleiben können. Von dort habe ich diesen wunderbaren Satz von Alfred Polgar mitgebracht: „Ich beherrsche die deutsche Sprache, aber sie gehorcht nicht immer.“ Im Freud-Museum fand ich merkwürdig, im Leben eines bekannten Mannes herumzustöbern. Aber es war interessant und aufschlussreich. Das Museum der Illusionen stand auf meinem Plan, aber es war dreimal proppenvoll, so dass ich sicher nicht viel Spaß gehabt hätte. Die anderen kulturellen Institutionen, die nachfolgend abgebildet sind, habe ich lediglich von außen betrachtet.

Im Weltmuseum gab es in der Austellung „Verhüllt, enthüllt! Das Kopftuch.“ siebzehn eigenständige Positionen zum Thema zu betrachten oder auch zu bestaunen, die den Blick auf dieses Stückchen Stoff um neue (und möglicherweise unerwartete) Aspekte erweitern können. Vor allem ist in dieser Ausstellung zu lernen, wie vielfältig die Nutzung des Kopftuchs in der Geschichte war und dass es sich historisch nicht um ein Kleidungsstück handelt, das ausschließlich Frauen vorbehalten war bzw. ist.

Der ÖPNV in Wien ist angesichts der vielen ganztägig kurz getakteten Bus-, Tram-, U- und S-Bahnlinien nur als toll zu bezeichnen. Und auf der Straße habe ich als Fußgänger keine „Wiener Grantler“ kennengelernt, vielmehr selbst dann rücksichtsvolles Anhalten eines Autos, wenn jemand außerhalb eines Zebrastreifens die Straße überqueren wollte. Für Rad- und Fußverkehr gibt es viele breite, häufig grün markierte Spuren. Eine Stadtbesichtigung ist mit verschiedenen PS- und Menschenstärken möglich. Ich habe die Hop on Hop off-Variante gewählt, die mir allerdings in Dublin besser gefallen hat. Auf vier Linien wurde in Wien durch so die Gegend gebrettert, dass es nicht bis kaum möglich war, aus dem Bus zu fotografieren. Aussteigen war nicht wirklich angesagt, denn es gab bis zu zwanzig Haltestellen und der nächste Bus wäre frühestens in fünfzehn, aber meist erst dreißig Minuten gekommen. Es gibt nette Ampeln und die Straßenschilder sind für uns ungewohnt.

Bleibt mir noch, ein paar mehr oder weniger amüsante Aspekte zu präsentieren wie das Opern-WC mit klassischer Musik in der Opern-U-Bahn-Station, die Sitzbadewanne in meiner Unterkunft und EU-gerechte Türklingelschilder, aber auch Überraschendes wie eine Aktion für Abdullah Öcalan auf dem – wo sonst? – Menschenrechtsplatz und ein paar Nettigkeiten.

Das war’s aus Wien, vielleicht demnächst mehr aus Rom oder Oslo/Stockholm/Helsinki/Tallinn.